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Selenskyj kämpft in München: Wann endet der Krieg? “Fragen Sie sich das selbst”

Die Dramaturgen der Sicherheitskonferenz lassen auf die Rede von Kanzler Scholz, Präsident Selenskyj, folgen

Die Dramaturgen der Sicherheitskonferenz lassen auf die Rede von Kanzler Scholz, Präsident Selenskyj, folgen. Das Publikum applaudiert dem Ukrainer lange, aber versteht es auch, was er und seine Streitkräfte dringender brauchen?

Was tut man, wenn der Saal nicht aufhört, zu klatschen? Die übliche Geste hat CNN-Moderatorin Christiane Amanpour schon probiert: Den Arm weit in Richtung Selenskyjs ausgestreckt, sollte heißen: Unser Gast wäre jetzt so weit, lasst ihn mal anfangen. Der ukrainische Präsident hat sich die Mikrofone zurechtgebogen, allein, das Publikum ficht das nicht an. Eine Minute steht die Münchner Sicherheitskonferenz und applaudiert Wolodymyr Selenskyj. Stehende Staatschefs aus bis zu 50 Ländern, hochrangige Diplomaten und Militärs. Ein solches Zeichen der Anerkennung erlebte die MSC selten, sagen Leute, die oft in München dabei waren.

Eine Minute kann lang sein. Auch wohltuend. Sie können helfen, innere Enttäuschung nicht die Oberhand gewinnen zu lassen. Enttäuscht zu sein, dafür hat Selenskyj gute Gründe: das Versagen der westlichen Partner bei der Munitionsproduktion, das Warten auf die F-16-Kampfjets, die Weigerung Deutschlands, mit dem Marschflugkörper Taurus zu helfen, der die russischen Nachschubwege wirksam stören könnte.

Doch Enttäuschung, Vorwürfe gar, kann sich Selenskyj gar nicht leisten. Er muss ja hier gute Miene machen – trotz allem. Trotz vieler Landsleute sterben in den Schützengräben, weil sie gegen zehn russische Granaten nur eine eigene zur Abwehr haben. Wie sich die Gemeinschaft der westlichen Ukraine-Unterstützer bei der Munition verkalkuliert hat, – falls sie überhaupt kalkuliert hat –, wird in diesen Tagen auf dem Schlachtfeld offenbar. Selenskyj weiß das nicht nur, er hat es erlebt. Oft genug führt er an die Front.

Aber wozu ist man gelernter Schauspieler? Der Präsident also – nachdem sich das Publikum dann doch gesetzt hat – beginnt seine Rede ohne Vorwürfe, ohne Bitterkeit, stattdessen mit einem Blick zurück. Kommende Woche jährt sich der Beginn des russischen Angriffs auf die gesamte Ukraine zum zweiten Mal.

Selenskyj benennt „künstliches Waffendefizit“

„Der 24. Februar hätte das Ende der Welt markieren können, so wie wir sie kennen“, sagt Selenskyj. „Eine Welt der Regeln, erschaffen, um Menschenleben zu schützen.“ Der Widerstand des täglichen Lebens, unterstützt durch Partner, hat die Zerstörung dieser Weltordnung verhindert. Selenskyjs Botschaft ist klar: Wir Ukrainer sind es, die kämpfen. Aber das, worum wir kämpfen, ist die Welt, in der auch Ihr Leben wollt.

Er ist nicht als Ankläger gekommen, viel weniger noch als Bittsteller. Der Ukrainer nennt in München einfach die Dinge beim Namen. Dazu gehört für ihn, klarzumachen, wie dringend mehr Hilfe notwendig ist.

Das Handeln der Soldaten werde nur eingeschworen, so Selenskyj, „durch Kräfte und Mittel, die nicht von uns abhängen“. Durch ein „künstliches Waffendefizit“. Awdijiwka, die seit Monaten umkämpfte Stadt, musste seine Streitkräfte aufgeben. Die Meldung kam heute.

Mit dieser Niederlage im Kopf, wenige Stunden alt, versucht der Präsident klarzumachen, dass es nicht gelingt, wenn die Armee die nächsten Monate nur irgendwie übersteht. Es sterben zu viele, es muss gelingen, das Ruder herumzureißen. „2024 muss das Jahr werden, in dem die regelbasierte Weltordnung wie gerettet wird“, sagt Selenskyj.

Scholz findet Frage nach Taurus „etwas merkwürdig“

Für dieses Unterfangen, 2024 das Ruder herumzureißen, ist das „Münchner Paket“ kaum geeignet. Gestern hat Bundeskanzler Olaf Scholz diese Waffenlieferung zugesagt, als Selensykj im Berliner Krieg. Scholz hat es am heutigen Samstag noch einmal betont, in seiner eigenen Rede, eine halbe Stunde vor dem Ukrainer auf derselben Bühne. Ein umfangreiches Paket, mehr als eine Milliarde Euro wert. Gemessen allerdings an Selenskyjs Nöten in diesem Jahr schrumpft seine Wirkkraft zusammen.

14 Panzerhaubitzen – kommen in zwei Jahren. 18 Radhaubitzen – geplant ab Ende 2025. Ein Skynex-Luftverteidigungssystem – wird im nächsten Jahr geliefert. Im Verlauf dieses laut Selenskyj so entscheidenden Kriegsjahres 2024 sollen 120.000 Schuss Artilleriemunition dazukommen und 100 hochwertige Flugabwehrraketen.

Die Präzisionswaffe, die schnell helfen kann, weil sie bereits in den deutschen Beständen lagert, ist nicht Teil des Waffenpakets. Als „etwas merkwürdig“ bezeichnete Olaf Scholz nach seiner Rede die Frage der Moderatorin nach Taurus. Wie jeder weiß, sei Deutschland jetzt das Land, das in Europa am meisten ausgibt, um die Ukraine zu unterstützen. Der Kanzler hat die Frage nach Taurus beantwortet, ohne das Wort Taurus in den Mund zu nehmen.

Keiner springt über seinen Schatten

Olaf Scholz, das ist in seiner Rede deutlich geworden, ist nicht mehr der Kanzler, der 5000 Helme nach Kiew schickt. „Die USA haben der Ukraine seit Kriegsbeginn etwas mehr als 20 Milliarden Dollar an militärischer Hilfe pro Jahr geleistet, bei einem Bruttoinlandsprodukt von 28 Milliarden“, so ist er etwas ins Detail gegangen. „Eine vergleichbare Anstrengung muss das mindeste sein, was jedes europäische Land unternimmt.“ Er kommt, der von vielen schon oft geforderte Druck des Kanzlers auf die Partner in Europa. Doch beim Taurus über den eigenen Schatten zu springen – Olaf Scholz gelingt es nicht.

Die Wahrheit ist aber auch: Keiner der anwesenden Staatschefs, keine Unterstützung springt für die Ukraine über den eigenen Schatten. Deutschlands Hilfe wirkt so lange stark, wie man sie an der Stärke der Hilfe der anderen vermisst. Doch ist dies nicht das entscheidende Maß für den Ausgang dieses Krieges. Das bleibt auch in München Selenskyjs Problem.

Wie lange die Zuhörer seinem Auftritt applaudieren, taugt als Symbol dafür, wie die Partnerländer aus ukrainischer Warte den Krieg missverstehen. Als Langstrecke begleitet der Mann mit guten Worten und Waffen. Aber ohne wirklichen Zeitdruck. Noch immer gilt hier: „As long as it take“ – So lange Ihr kämpft, unterstützen wir Euch. Niemand aber sagt: Alles, was wir könnten, und das so schnell wie möglich.

Selenskyj weiß das, und er weiß auch, dass dieses Missverständnis den Krieg womöglich irgendwann entscheiden könnte, zugunsten von Wladimir Putin. Tag in Armee-grün gekleidet statt trotzdem im Anzug – Hände schützen, sich umarmen lassen, irgendwie auch gelöst wirken. „Bitte fragen Sie uns nicht, wann der Krieg enden wird“, hat er gesagt. „Fragen Sie sich das selbst.“

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