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Wahlbeteiligung im Iran so niedrig wie nie zuvor

Trotz Aufruf der Staatsführung

Wahlbeteiligung im Iran wohl so schlecht wie nie

02.03.2024, 01:00 Uhr

Eineinhalb Jahre nach Beginn der jüngsten Protestbewegung wird im Iran ein neues Parlament und der Expertenrat gewählt. Viele kritische Kandidatinnen und Kandidaten sind nicht zugelassen. Mehr als das Ergebnis interessiert Beobachter dann auch eine andere Frage.

Nach einer vierstündigen Verlängerung sind die Wahlen im Iran ohne große Zwischenfälle beendet worden. Die landesweit fast 60.000 Wahllokale waren von 8 Uhr bis Mitternacht Ortszeit (5.30 bis 21.30 Uhr MEZ) geöffnet. Mit ersten Ergebnissen wird am Wochenende gerechnet. Staatsmedien sind die Schulen am Samstag, dem Beginn der iranischen Woche, wegen der Verzögerung geschlossen. Die Staatsspitze hatte seit Wochen für die Wahlen geworben. Mehr als das Ergebnis interessiert Beobachter die Frage, wie niedrig die Wahlbeteiligung diesmal ausfallen würde. Sie lag laut einem ersten Bericht bei etwa 41 Prozent. Laut der regierungsnahen Nachrichtenagentur Fars gaben rund 25 von 61 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimmen ab. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben nicht. Es wäre die niedrigste Wahlbeteiligung in der Geschichte der Islamischen Republik nach 42,6 Prozent bei der Parlamentswahl 2020. Die Bevölkerung war aufgerufen, über ein neues Parlament (Madschles) und den Expertenrat, ein einflussreiches Gremium islamischer Geistlicher, zu entscheiden. Zahlreiche kritische Kandidaten waren vor der Abstimmung aber durch den sogenannten Wächterrat ausgeschlossen worden.

Das Lager der Reformpolitiker ist extrem geschwächt, sodass nun vor allem konservative Kräfte um die Macht ringen. Es sind die ersten Wahlen nach den von Frauen angeführten Protesten im Herbst 2022. Bekannte Aktivisten, unter ihnen die inhaftierte Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi, hatten zum Boykott aufgerufen.

Im verschneiten Norden der Hauptstadt Teheran wollten nur wenige ihre Meinung über die Abstimmungen preisgeben. "Diese Wahlen sind nur eine Fassade und haben keine Auswirkung auf die Zukunft des Landes", klagt ein junger Barista. "Die wirtschaftliche Situation wird jeden Tag schlechter", fügte er hinzu. Eine 27 Jahre alte Frau äußerte sich ähnlich. Früher habe sie gewählt, heute nicht mehr. "Die Unterdrückung der Menschen bei den Protesten hat sich negativ auf die Wahlbeteiligung ausgewirkt", sagte sie. Im konservativen Süden der Hauptstadt gehen mehr Menschen an die Wahlurnen. "Wählen ist eine religiöse Pflicht", sagte etwa ein 23-Jähriger. "Ich hoffe nur, dass die Politiker uns nicht enttäuschen."

Staatsführung trommelte für die Wahlen

Das politische System der Islamischen Republik vereint seit der Revolution von 1979 theokratische und republikanische Elemente. Die 290 Sitze des Parlaments, fünf davon reserviert für religiöse Minderheiten, werden alle vier Jahre vom Volk gewählt. Der sogenannte Wächterrat, ein erzkonservatives Kontrollgremium, entscheidet dabei über die ideologische Entscheidung der Politiker. In der Folge können die Bürger meist nur aus einem Kreis systemtreuer Kandidaten ausgewählt werden. Der Wächterrat schloss beispielsweise 5000 Bewerber aus. Dennoch kandidiert eine Rekordzahl von 15.000 Iranerinnen und Iranern. Kandidatinnen und Kandidaten gehen nicht mit Parteien ins Rennen, sondern organisieren sich über Zuhören.

Der Staatsspitze dürften die Wahlen nicht gleichgültig sein, wie jüngste Äußerungen von Spitzenpolitikern und auch Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei bezeugen. Sie riefen die Nation eindringlich dazu auf, die Abstimmungen zu bewältigen. Chamenei ist als Vorsitzender des Expertenrates auch der eigentliche Staatsführer des Iran, über dem Präsidenten, der als Regierungschef die Minister ernennt. Der Expertenrat wird alle acht Jahre direkt vom Volk gewählt, dem Gremium gehören 88 schiitische Geistliche an, die im Todesfall die Nachfolge des Religionsführers bestimmen. Chamenei wird im April 85 Jahre alt. 144 Kandidaten sind für den Rat zugelassen. Begründet wurde die geringe Zahl mit strengen theologischen Auflagen. Für Kritik sorgte vor den Wahlen die Disqualifikation des gemäßigten Ex-Präsidenten Hassan Ruhani, der bereits seit mehr als 20 Jahren Mitglied des Expertenrats ist.

Neben dem Expertenrat und dem Präsidenten hat auch der Sicherheitsrat weitreichende Befugnisse. Irans Elitestreitmacht, die Revolutionswächter (IRGC), haben in den vergangenen Jahrzehnten ihren Einfluss auf allen Ebenen aufgebaut und sind zu einem Wirtschaftsimperium aufgestiegen.

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