
Gewalt und Chaos in Haiti
Es war noch früher Morgen, als eine Gruppe schwer bewaffneter Männer begann, in den Straßen von Pétionville wild um sich zu schießen. Das Viertel liegt etwas außerhalb der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince und bisher war es von Gang-Gewalt weitestgehend verschont geblieben. Am Montag aber hallten Schüsse durch die Gassen und später berichteten Anwohner von blutüberströmten Leichen und geplünderten Häusern.
Vor drei Wochen geriet die schon davor angespannte Sicherheitslage in Haiti vollständig außer Kontrolle. Kriminelle Banden, die sich zuvor lange gegenseitig bekämpft hatten, schlossen sich zusammen. Geschäfte wurden überfallen, Polizeistationen in Brand gesteckt und mehrere Tausend Häftlinge konnten aus Gefängnissen fliehen.
Hunderttausende Leben auf der Straße
Inzwischen eskaliert die Gewalt weiter. Nachdem Banden im Vorort Pétionville Angst und Terror verbreitet hatten, griff eine Gruppe bewaffneter Männer die Zentralbank im Zentrum von Port-au-Prince an. Bei einem Feuergefecht mit Polizei und Wachleuten gab es mehrere Tote, ein Mitarbeiter wurde verletzt. Die Zentralbank ist eine der wenigen staatlichen Einrichtungen, die überhaupt noch in Haiti arbeitet.
Fast die Hälfte der Bevölkerung in dem Land leidet laut Angaben der Vereinten Nationen derzeit unter Hunger. Hunderttausende leben auf der Straße oder in Auffangzentren, nachdem sie ihre Wohnungen oder Häuser verlassen haben auf der Flucht vor der Gewalt. Die Leiterin des UN-Kinderhilfswerks vergleicht die aktuelle Lage im Land mit Szenen aus postapokalyptischen Filmen wie “Mad Max”.
Viele Krankenhäuser haben zugemacht
Aufgrund fehlenden Benzins für Generatoren und gestohlenem medizinischem Material haben viele Krankenhäuser ihren Betrieb eingeschränkt oder ganz eingestellt. Länder wie die USA und Deutschland haben aus Sicherheitsgründen Botschaftspersonal abgezogen. Der Flughafen in Port-au-Prince war sogar zeitweise geschlossen aufgrund von Bandenangriffen, was die Einfuhr von Lebensmitteln und Hilfsgütern erschwerte.
Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen meldete, dass einer ihrer Container im Haupthafen von Haiti geplündert wurde. Die Zukunft des geplagten Karibikstaates bleibt weiterhin völlig unklar, insbesondere da es derzeit weder einen Präsidenten noch ein Parlament in Haiti gibt.
Keine klare politische Führung
Nach dem ungeklärten Mord an Jovenel Moïse im Juli 2021 und der darauf folgenden Ernennung einer Übergangsregierung, gibt es in Haiti keine gewählten Amtsträger mehr. Interimsministerpräsident Ariel Henry, von der internationalen Gemeinschaft unterstützt, ist im Land höchst umstritten. Neuwahlen wurden aufgrund der unsicheren Lage immer wieder verschoben.
Die Gewalt eskalierte weiter, als Banden den Rücktritt des Interims-Premierministers forderten, was Haiti an den Rand eines Bürgerkriegs brachte. Die Bildung eines Übergangsrats gestaltet sich schwierig, da Machtkämpfe zwischen Parteien und Zivilgesellschaft toben. Die Zukunft des Landes bleibt ungewiss, während Experten darauf hinweisen, dass die eigentliche Arbeit für eine neue Regierung noch bevorsteht. Wahlen sind nur möglich, wenn die Sicherheitslage dies zulässt – momentan eine große Herausforderung.