BERLIN – Bundeskanzler Olaf Scholz wird am Sonntag darum kämpfen, die Brände zu löschen, die seine Regierung bedrohen, während sich die Dreierkoalition zu Krisengesprächen über eine wachsende Reihe von Streitigkeiten trifft.
Etwas mehr als ein Jahr nach seinem Amtsantritt ist das Verhältnis zwischen Scholz’ Sozialdemokraten (SPD) und seinen Regierungspartnern, den Grünen und der wirtschaftsfreundlichen FDP, angespannter denn je.
Anfang dieser Woche warf Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen der FDP vor, Fortschritte zu blockieren, während der stellvertretende FDP-Chef Wolfgang Kubicki den Grünen-Politiker mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin verglich.
Kubicki entschuldigte sich später, doch der zerstörerische Streit unterstreicht den Zustand der Dreierkoalition – der ersten in der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Unter dem Motto des Koalitionsvertrags „Mehr Fortschritt wagen“ ist das Bündnis im Dezember 2021 gut gestartet.
Es wurde auf eine harte Probe gestellt, als Russland nur zwei Monate später in die Ukraine einmarschierte und Jahrzehnte deutscher wirtschaftlicher und politischer Gewissheiten auf den Kopf stellte.
Doch seitdem sind die Spannungen gestiegen – vor allem zwischen den Grünen und der FDP.
Die beiden sind unnatürliche Bettgenossen, wobei erstere Umweltverpflichtungen zum Ausstieg aus Kernenergie und Verbrennungsmotoren eingegangen sind und letztere eine sehr unterschiedliche Wirtschaftspolitik fördern.
Es könne nicht sein, „dass in einer Koalition des Fortschritts nur ein Koalitionspartner für den Fortschritt zuständig ist und die anderen für das Verhindern des Fortschritts“, sagte Habeck unter der Woche bei einer Grünen-Veranstaltung.
– Überkocht –
Die Gespräche am Sonntag seien eine gute Gelegenheit, um “Blockaden” in zentralen Fragen zu überwinden, sagte Habeck auch gegenüber dem Sender ARD und sprengte damit die Bilanz der Koalition und die politischen Lecks.
Grund für Habecks Unzufriedenheit ist ein umstrittenes Vorhaben seines Ministeriums, den Einbau neuer Öl- und Gaskessel ab 2024 zu verbieten – ein Jahr früher als bisher geplant.
Der beschleunigte Umstieg von fossilen Brennstoffen auf umweltfreundlichere Technologien wie Wärmepumpen werde von einem milliardenschweren Paket zur finanziellen Unterstützung von Umsteigern begleitet, hat Habeck versprochen.
Aber die Idee hat innerhalb der Koalition zu Unruhen geführt, wobei Kritiker die damit verbundenen Kosten unterstrichen.
„Die Pläne müssen zurück ans Reißbrett und grundlegend überarbeitet werden“, sagte Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner, nachdem der Bild-Zeitung ein Politikentwurf zugespielt worden war.
Habecks Entschlossenheit habe etwas mit Putin gemein, sagte Kubicki. Beide hätten “eine ähnliche Überzeugung, dass der Staat, der Führer, der Auserwählte besser als das Volk weiß, was gut für sie ist”.
Als die Gemüter aufbrausten, sagte der SPD-Generalsekretär, die Partner müssten „eine neue Arbeitsweise finden“.
„Dies ist ein Appell an alle drei Regierungsparteien – diese öffentlichen Argumente müssen jetzt aufhören“, sagte er.
– “Explosives Material” –
Der Kesselbruch ist nur ein Punkt auf einer wachsenden Liste von Meinungsverschiedenheiten, darunter Rentenreform, Kindergeld und Bürokratieabbau.
Die Parteien einigten sich darauf, das Genehmigungsverfahren für Schlüsselprojekte zur Wiederbelebung der maroden Infrastruktur in Deutschland zu beschleunigen.
Doch während die FDP mehr neue Autobahnen unterstützen möchte, wollen die Grünen klimafreundlichere Projekte bevorzugen.
Die FDP hat auch Widerstand gegen die Pläne der Europäischen Union gesammelt, Autos mit Verbrennungsmotoren ab 2035 zu verbieten, und besteht auf einer Zukunft für alternative Motorkraftstoffe – eine weitere Idee, die von den Grünen entschieden abgelehnt wird.
Ausgabenforderungen aus der ganzen Regierung – darunter mehr Geld für Deutschlands sklerotische Streitkräfte – haben dem Finanzminister die Mathematik schwerer gemacht.
Lindner, der auf einer Rückkehr zu den strengen verfassungsmäßigen Ausgabengrenzen Deutschlands bestanden hat, war Anfang März gezwungen, die Veröffentlichung der Ausgabenpläne für 2024 aufgrund fehlender Einigung zu verschieben.
Meinungsverschiedenheiten über den Haushalt drohen, die Koalition zu beenden, wenn Scholz seinem Finanzminister nicht den Rücken stärkt, sagte Politikwissenschaftler Jürgen Falter der Bild.
Viele Unstimmigkeiten in der Koalition seien darauf zurückzuführen, dass “die Vorstellungen von Grünen und FDP einfach nicht zusammenpassen”, sagte er.
Laut Falter war es immer schwierig, ihre gegensätzlichen Ansichten zusammenzubringen.
„Dreierbündnisse haben automatisch mehr Sprengstoff“, sagte er.