Nachdem Präsident Wolodymyr Selenskyj den bislang deutlichsten Hinweis darauf gegeben hatte, dass die Gegenoffensive der Ukraine unmittelbar bevorstehe, forderte er seine Landsleute am Samstag auf, sich persönlich bei den Freiwilligen und Soldaten zu bedanken, die gegen die russischen Truppen kämpfen, und zeigte damit, wie düster die nächste Phase des Krieges sein könnte.
Selenskyj nannte mehr als ein Dutzend Soldaten namentlich und wies darauf hin, dass er in seinen nächtlichen Reden meist bestimmten Einheiten oder Brigaden dankt. Aber die Ansprache vom Samstag sei, wie er sagte, eine Sammlung „persönlicherer Dankesworte an bestimmte Krieger“.
Seine Bitte, den Soldaten zu danken, wenn auch nur in den sozialen Medien, folgte auf ähnliche Aussagen seiner obersten Militärkommandanten, die erklärt hatten, sie seien trotz fehlender Luftverteidigungssysteme für die Gegenoffensive bereit. Und sein Verteidigungsminister lehnte Friedensgespräche am Samstag auf einem Gipfeltreffen von Militärvertretern in Singapur ab. Auch die Ukraine ist in den letzten Monaten mutiger geworden und hat hinter den russischen Linien angegriffen, ein weiteres Zeichen für den veränderten Ton des Krieges.
Das Wall Street Journal veröffentlichte am Samstag zuvor ein Interview mit Selenskyj, in dem er sagte, dass die Ukraine für die Gegenoffensive bereit sei, warnte jedoch davor, dass „eine große Zahl von Soldaten sterben wird“, weil Russland die Oberhand in der Luftstreitmacht behalte. Zusätzlich zu den milliardenschweren Militärhilfen und fortschrittlichen Waffen, die die Ukraine bereits von den USA und Europa erhalten hat, drängt Selenskyj seine Verbündeten zu mehr Luftverteidigungssystemen und F-16-Kampfflugzeugen.
Und die Ukraine lehnt weiterhin Vorschläge für Friedensgespräche ab, die nicht vorsehen, dass Russland zunächst seine Streitkräfte aus den besetzten Gebieten abzieht. Der jüngste Vorschlag dieser Art wurde am Samstag beim internationalen Treffen in Singapur von Prabowo Subianto, dem indonesischen Verteidigungsminister, unterbreitet.
Selenskyjs Äußerungen wurden eine Woche veröffentlicht, nachdem der oberste Militärbefehlshaber der Ukraine signalisiert hatte, dass die Gegenoffensive kurz bevorstehe, die laut Analysten in der einen oder anderen Form bereits begonnen haben könnte. Der Schwerpunkt dürfte auf der Südukraine liegen und sich auf Landrouten zwischen Russland und der Krim konzentrieren, dem ukrainischen Territorium, das Moskau 2014 illegal annektierte.
„Es gibt keinen perfekten Zeitpunkt, um die ukrainischen Offensiven zu starten, aber es wird einen Zeitpunkt geben, der für die Vorbereitung der ukrainischen Streitkräfte optimal ist und in dem sie die Schwächen Russlands am besten ausnutzen können“, schrieb Mick Ryan, ein Militäranalyst und pensionierter australischer General, am Sonntag auf Twitter. „Diese Zeit ist nah.“
Dieser Artikel erschien ursprünglich in der New York Times.
